Zum „Tag des Deutschen Brotes“ vor einer Woche hat die Deutsche Presseagentur (dpa) dem hiesigen Backhandwerk mal genauer in die Theken gesehen und zwischen „Brotgenuss“ und „Massengeschäft“ zwei ganz unterschiedliche Entwicklungen bemerkt.
Während es einerseits ein „Revival“, ach Quatsch: eine „Renaissance“! der klassischen Brotkultur gebe („heißt es in der Branche“), während Kund:innen in Großstädten zunehmend Wert auf Bio-Backwaren und wiederentdeckte alte Getreidesorten legten, müssten viele Bäckereien auf dem Land aufgeben. Denn: „Immer mehr Kunden bedienen sich an den ein, zwei Handvoll Brotsorten in den Drahtkäfigen der Discounter.“
(Gemeint sind natürlich: Brötchenknasts.)
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„‚Der größte Konkurrent ist heute, vor allem aufgrund seiner extremen Preispolitik, der Lebensmitteleinzelhandel mit unterschiedlichen Konzepten von Aufbackstationen‘, betont der Zentralverband [des deutschen Bäckerhandwerks]. Jedes dritte Brot kaufen die Bürger laut GfK im Discounter oder Supermarkt.“
Ist ja auch kein Wunder. Seitdem Lidl vor acht Jahren reihenweise Selbstbedientheken mit aufgebackenen Broten und Brötchen in seine Märkte integrierte (siehe Supermarktblog) und dafür im Zweifel sogar anbaute …
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… sind die Brötchenknasts überall im deutschen Lebensmitteleinzelhandel wie heiße Brezeln aus dem Ofen geschossen (siehe Supermarktblog). Kundinnen und Kunden haben sich daran gewöhnt, ihre Semmeln, Schrippen, Wecken während des regulären Einkaufs aus verglasten Zellen selbst in bereitliegende Tüten zu rütteln. Daran sind die Discounter und Supermärkte aber gewiss nicht alleine schuld. Im Gegenteil: Ein Großteil der Bäcker hat kräftig mitgeholfen, zu dieser Entwicklung beizutragen – mit langweiligen Standardsortimenten, geschmacksneutralem Süßgebäck und Brötchen, die alle gleich aussehen und schmecken.
Riecht nach frischen Brötchen hier
Lidl hat derweil früh erkannt, dass frische Backwaren entscheidend dafür sein können, ob ein Markt zur Haupteinkaufsstätte für Kund:innen wird, die sich ihre Lebensmittel nicht (mehr) in unterschiedlichen Läden zusammensuchen wollen.
Bis dahin hatte sich der Discounter vielerorts auf Kooperationen mit regionalen Bäckereien verlassen, die in Vorräumen eigene Zweigfilialen betrieben (siehe Supermarktblog). Frische Backwaren direkt in den Markt zu holen, war zwar sehr viel aufwändiger (und teurer), hatte aber auch den Vorteil, dass es dort immer gut nach frischem Brot roch – mit positiven Auswirkungen auf die Kauflaune der Kund:innen. Inzwischen gehört der (stetig weiterentwickelte) Brötchenknast fast überall zur Standardausstattung und empfängt Kund:innen in neuen Filialen direkt am Ladeneingang (auf dem Foto in Wien).
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Vor zwei Jahren habe ich mal versucht, herauszufinden, was diese Entwicklung für die Umsätze der regionalen Bäcker bedeutet, und welche Schlüsse sie womöglich daraus ziehen. Ich habe Bäckereien angefragt, die Vorkassenfilialen im Lebensmitteleinzelhandel betreiben, Vertraulichkeit zugesichert – aber Auskunft geben wollte: keine einzige. (Mit einer Ausnahme.) Inzwischen ahne ich, dass das nicht nur einer gewissen Vorsicht gegenüber den (damaligen) Partnern gelegen hat. Sondern auch an der generellen Ideenlosigkeit vieler Betriebe, die keinen blassen Schimmer hatten und haben, was ihnen ihre Kund:innen mit dem veränderten Kaufverhalten eigentlich sagen wollten.
Dass sie nämlich nicht mehr einsehen, Aufpreise für Standard-Backwaren zu bezahlen, die auch nicht schlechter schmecken, wenn sie im Discounter aufgebacken werden.
Das trifft natürlich längst nicht auf alle (Kund:innen und Betriebe) zu. Auch die von der dpa entdeckte „Renaissance“ des Brotgenusses gibt es gewiss; aber vermutlich eher als Randphänomen, das bislang eher selten in den Vorkassenbereich von Supermärkten vorgedrungen ist.
Handwerk wird zum Beiwerk
Dabei essen die Deutschen weiter liebend gerne Brot und Brötchen: Während die Umsätze im klassischen Bäckereihandwerk (vor allem bedingt durch große Bäckereiketten) stetig steigen, schrumpft die Zahl der Betriebe deutlich und dürfte in den kommenden Jahren erstmals unter 10.000 fallen. Die Zahl der Auszubildenden im deutschen Backhandwerk hat sich seit 2011 quasi halbiert (Quelle: Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, 2018). Im Supermarkt wird das Handwerk eher zum Beiwerk, wenn Mitarbeiter neben ihren übrigen Tätigkeiten Teiglinge in die Öfen schieben und SB-Theken befüllen.
Anstatt kleinere Brötchen sollten die Bäckereien doch einfach wieder bessere Brötchen backen, sagen Sie? So einfach ist das vielleicht nicht mehr. Weil sich ein Großteil der Backwarenverzehrer:innen zwischenzeitlich an sehr viel niedrigere Preise gewöhnt hat.
„[R]und 40 Prozent der Kunden interessieren sich weder für Gesundheit noch neue Trends“ im Lebensmittelmarkt, hat die dpa einer Umfrage von Uni Göttingen und Marketing-Beratung Zühlsdorf + Partner im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes entnommen. (Dieselbe Studie kommt aber auch zu dem Schluss, dass „der Anteil der preisbewussten Käufer geringer [ist] als derjenigen mit hohem Qualitätsbewusstsein“ – was nicht gerade der derzeitigen Marktentwicklung zu entsprechen scheint; hier gibt es das pdf mit den ausführlichen Ergebnissen.)
Im Lebensmitteleinzelhandel geht der Trend derzeit jedenfalls zu einer fast schon lächerlich riesigen Auswahl an Aufbackartikeln. Rewe bietet in seinem an den Markteingang verlegten Brötchenknastkonzept „Brot & mehr“ (siehe Supermarktblog) bis zu 60 verschiedene Backprodukte an.
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In renovierten Kaufland-Filialen sind die SB-Theken bisweilen so groß, dass man beim Vorbeilaufen eine kleine Verschnaufpause einlegen muss.
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Edeka Minden-Hannover schreibt „Marktbäckerei“ an City-Brötchenknasts dran.
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Händler, die wenig Platz haben, werden kreativ.
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Und selbst die Discounter quetschen aller Effizienztreue zum Trotz meterweise Backwaren in ihre Innenstadtfilialen, von Penny (Foto: Filiale am Berliner Ostbahnhof) über Netto (ohne Hund) mit der „neuen Backtradition“ bis zu Aldi Süd, das mit dem Ausbau seines „Meine Backwelt“-Konzepts zuletzt zwar nur schleppend vorankam (siehe Supermarktblog), aber einen kontinuierlichen Ausbau angekündigt hat.
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Die Kund:innen scheinen sich derweil auch nicht durch kleingedruckte Zusatzstofflisten an den Zellen abschrecken zu lassen. (Aldi-Süd-Weizenbrötchen können zudem „Spuren von Eiern, Erdnüssen, Fisch, Lupinen, Milch, Schalenfrüchten, Sellerie, Senf, Sesamöl und Soja“ enthalten, da ist für jeden Allergiker was dabei.)
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So ganz wollen vor allem die Supermärkte aber noch nicht vom etablierten Konzept des Vorkassenbäckers lassen. Als ich vor einiger Zeit bei Rewe anfragte, ob sich mit zunehmender Ausbreitung des „Brot & mehr“-Konzepts samt angeschlossenem „deli am Markt“ das Prinzip des Vorkassenbäckers erledigt habe, kam dazu aus Köln ein relativ deutliches Dementi:
„Der unabhängige Handwerksbäcker als Partner von REWE steht in keinster Weise zur Disposition. Im Gegenteil: Mit seiner individuellen Handwerkskunst, der Qualität und Frische seiner Produkte passt der Handwerksbäcker mehr als je zuvor 100 Prozent zur REWE Philosophie und ist damit eine wichtige Säule im Lebensmitteleinzelhandel.“
Die „lokale Stärke, Verwurzelung des Bäckers am Ort oder in der Gemeinde und seine Innovationskraft“ seien „unverzichtbar“.
Bitte mehr Back-Snacks
Allerdings haben sich in den vergangenen Jahren die Erwartungen an Kooperationspartner deutlich verändert, erläutert der Geschäftsführer einer großen deutschen Bäckereikette im Supermarktblog-Gespräch. Die Händler würden immer stärker darauf drängen, dass Bäckereien sich stärker auf verzehrfertige Back-Snacks und kleine Mahlzeiten fokussieren, um sich neuen Kundengewohnheiten anzupassen (und die Händler von dieser Pflicht zu befreien). Diese Anforderungen können oder wollen aber nicht alle Partner gleichermaßen erfüllen.
Selbstverständlich gibt es Ausnahmen: regionale Bäcker und selbstständige Kaufleute, die schon früh erkannt haben, dass es nicht mehr reicht, Angestellte zwischen eine Wand aus Kastenweißbroten und einen Burggraben aus Weißmehlbrötchen zu stellen.
Wenn Sie solche Bäcker im Supermarkt und/oder Händler:innen mit backgastromomischen Ambitionen kennen: Teilen Sie Ihr Wissen doch bitte mit uns in den Kommentaren! (Für Berlin fallen mir da leider nur sehr wenige gute Beispiele ein.)
Dennoch scheint die Entwicklung der vergangenen Jahre auch Anzeichen dafür zu sein, dass sich die klassische Kooperation von Lebensmitteleinzelhandel und Vorkassenbäcker ein Stück weit überlebt hat. Für den Discount gilt das schon seit längerem: Lidl hat inzwischen sämtliche Back-Avancen gegenüber früheren Partnern eingestellt; selbst bei Netto (mit Hund), wo die Kooperation mit Regionalbäckereien lange fester Konzeptbestandteil war, lichten sich mancherorts die Backtheken.
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Auch große Bäckereiketten haben notwendige Weiterentwicklungen verschlafen und sind dadurch in Schwierigkeiten geraten. Im Januar ist bspw. das Insolvenzverfahren für Lila Bäcker mit Filialen in Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern (lange auch in Vorkassenzonen von Discountern) eröffnet worden. Ein neuer Investor wurde bislang nicht gefunden.
Andere haben begriffen, dass sie mit der Zeit gehen müssen, gemütliche Sitzgelegenheiten anbieten, besseren Kaffee und aufwändigere Snacks verkaufen, um sich gegen den Handel zu behaupten. Dafür, das auf beengten Flächen im Supermarkt zu tun, gibt es immer weniger Gründe.
Alle gucken beieinander ab
„Der Markt für Backwaren ist immer ein lokaler Markt mit lokalen Bedürfnissen“,
hat mir Nikolas Niebuhr, Geschäftsführer der Hamburger Coffeeshop-Kette Balzac, Anfang des Jahres im Gespräch für holyEATS gesagt. Niebuhrs Aufgabe ist es, Balzac auf das (für Deutschland angepasste) Konzept von Espresso House umzustellen, das in Skandinavien ziemlich erfolgreich ist und Balzac vor zwei Jahren übernommen hat (pdf), um nach Deutschland zu expandieren.
(Espresso House gehört zur JAB Holding der deutschen Unternehmerfamilie Reimann, die sich in den vergangenen Jahren ein internationales Kaffeeketten-Imperium zusammengekauft hat.)
Die zu Espresso House umgebauten Läden sollen mehr Aufenthaltsqualität bieten und durch höhere Kaffeekompetenz glänzen. Das scheint zu funktionieren. „Vielleicht können das die Bäcker alles auch – in zehn Jahren“, meint Niebuhr. Aber genau diesem Anpassungsprozess müssen sich alle Marktteilnehmer stellen, wenn sich alle, alle permanent bei den Konzepten der Konkurrenz bedienen – die Lebensmittelhändler bei den (SB-)Bäckereien, die großen Bäckereiketten bei den Coffeeshops, die Coffeeshops in der klassischen Gastronomie.
(Man muss diesen ganzen Zirkus als Bäcker:in natürlich nicht mitmachen. Aber das geht nur, wenn man wirklich sehr, sehr gute Backwaren in der Auslage hat, für die Kund:innen bereit sind, den Brötchenknast im Laden links liegen zu lassen und sich in der Vorkassenzone nochmal anzustellen.)
Oder lieber ganz anders?
Auch viele Handelsketten tun sich derzeit noch schwer damit, die einst für Vorkassenbäcker reservierten Flächen zu modernisieren oder anders zu nutzen. Das lässt sich schön an den (auch nicht gerade als Hort der Backkreativität bekannten) ehemaligen „Backstops“ von Kaiser’s Tengelmann erkennen.
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Die wurden vor zwei Jahren in den von Edeka übernommenen Märkten vielerorts einfach zu „E Backstuben“ umbenannt. (Mit angepasstem Sortiment der Edeka-eigenen Backtöchter.)
Rewe wiederum hat einen Teil der Theken an Bäckereiketten aus der Region abgegeben – die trotz der neu in die Märkte gebauten XXL-Brötchenknasts (siehe Supermarktblog) zuversichtlich scheinen, dort noch ausreichende Umsätze erzielen zu können.
Aber so richtig erschließt sich vielen Kunden die Backdoppelung aus Brötchenknast und separater Backtheke nicht mehr. Die Vorkassenbäcker haben sich im Laufe der Jahre ein Stück weit selbst abgeschafft.
Die Best-of-Bio-Bäcker
Dabei gäbe es durchaus interessante Alternativen: Die naheliegendste machen seit jeher Biomarktketten wie denn’s Biomarkt, Bio Company und Alnatura vor, die sich für ihre Theken in der Vorkassenzone von mehreren Handwerksbäckereien aus der jeweiligen Region beliefern lassen und dadurch eine Vielfalt vom Dinkel-Saaten-Brötchen bis zum Gemüsetörtchen bieten können. Kombiniert mit warmen Mittagsangeboten eignen sich die Best-of-Bio-Bäcker sehr gut als Anziehungspunkt für den Markt. Keine Ahnung, warum sich die sonst auch nicht kopierscheuen Supermärkte dieses Prinzip nicht schon längst abgeguckt haben.
Und im Ausland gibt es bereits zahlreiche Händler, die Partnerschaften für den Vorkassenbereich von Grund auf neu denken. Der Platz dafür ist da, er muss bloß kreativ genutzt werden.
Wie das funktionieren kann und welche Kooperationen Supermärkte dafür eingehen, steht als nächstes hier im Blog.
Und ich freue mich über Hinweise auf gute Vorkassenbäcker und -konzepte – am besten gleich weiter unten in den Kommentaren.
Fotos: Supermarktblog![]()
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Der Beitrag Nix gebacken gekriegt: Die schleichende Selbstabschaffung der Vorkassenbäcker erschien zuerst auf Supermarktblog.